Nach dem Frühstück wir sind die einzigen Gäste in der Küche unseres Gästehauses gehen wir um 10.00 Uhr los zur Gondelstation. Es ist warm und nur locker bewölkt. Im Rucksack haben wir unsere Jacken, ein paar Butterbrote mit Käse und Salami, Obst, Müsliriegel und für jeden 2 Liter Tee und Wasser. Damit sollten wir den Tag überstehen.
Das Ticket für eine Fahrt auf- und abwärts kostet 7 Lewa je Person. Nach 25 Minuten mit der Gondelbahn, hinweg über bewaldete Berghänge mit den Schneisen der Skipisten, sind wir auf dem 2369 m hohen Jastrebez. Die letzte Gondel geht 16.20 Uhr wieder nach unten. Wir haben also nur fast sechs Stunden Zeit für die Tour bis auf den Mussala und zurück. Das dürfte knapp werden, denn schließlich wollen wir auch was von der Landschaft sehen und nicht nur durch die Gegend hetzen. Unterhalb des Jastrebez-Gipfels am Weg Richtung Mussala stehen verschiedene Berghütten und Gaststätten, die es 1965 noch nicht gab.
Aber die alte Steinhütte, in der Ralf und ich damals, nach unserem Aufstieg von Borovez, Tee getrunken haben, steht noch. Sie wurde von einer alten Frau bewirtschaftet. Heute stehen auf der kleinen Terrasse die allgegenwärtigen Coca-Cola-Schirme.
Alte Berghütte am Jastrebez
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Skibetrieb gab es am Jastrebez 1965 noch nicht. Wir hatten uns zwar in Wittenberg Skier ausgeliehen und mit hierher gebracht, aber benutzt hatten wir sie noch nicht, denn unten im Ort war ziemlicher Schneematsch.
In unserem jugendlichen Leichtsinn dachten wir, wenn wir auf den Jastrebez gehen, könnten wir mit den Skiern wieder nach unten fahren. Dabei hatten wir, aus heutiger Sicht, weder die richtigen Skier noch die leiseste Ahnung vom Alpin-Skifahren. Unsere Skier waren reine Tourenski mit Seilbindung, also an der Ferse nicht fest. Trotzdem haben wir ...
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Weg vom Jastrebez hinüber zum Mussala
Auf dem Weg Richtung Mussala kommen wir an einer Informationstafel des Nationalparks Rila-Gebirge an. Leider ist die Karte fast völlig abgerissen.
Unterhaltung mit Pawel dem Parkranger
Pferde zwischen Jastrebez und Mussala
Enzian blüht überall auf den Bergwiesen
Ein Stück weiter grast auf einer großen Wiese eine Herde Pferde. Sie laufen hier oben völlig frei herum, scheinen aber immer in der Nähe des Weges zu bleiben. Vermutlich fällt auch von den vorbei kommenden Menschen immer mal etwas anderes Futter ab, als immer nur Gras.
Von weitem sieht man dann schon das große Haus, welches am Fuße des Mussala steht. Leider stellt es sich als Bauruine heraus.
Hotel-Bauruine unterhalb des Mussala
Es ist inzwischen 13.00 Uhr. Die Unterhaltungen mit Pawel haben uns etwas Zeit gekostet. Die letzte Gondel nach unten werden wir schon kaum noch erreichen. Dann bliebe uns nur der Rückweg nach Borovez zu Fuß.
Der Weg durch die Felsen führt in Serpentinen nach oben und dann an drei Seen vorbei, die kaskadenförmig hintereinander liegen.
Unterster Rila-See
Es sind noch mehr Wanderer nach oben unterwegs, auch eine Gruppe junger Leute aus Tschechien. Mit einem kann ich ein paar Worte in Deutsch wechseln. Für längere Unterhaltungen ist aber keine Zeit mehr.
Der Weg zum Mussala führt über steinige Hänge
Gegen 14.00 Uhr bin ich dann an der Hütte unterhalb des Gipfels auf etwa 2.700 m Höhe. Dort warte ich auf Angelika, die etwa zehn Minuten später hier ankommt. In dieser Zeit habe ich mich für den „Gipfelsturm“ gestärkt. Angelika will nicht mit nach oben. Es würde auch etwas zu lange dauern. So kann ich auf den Rucksack verzichten, nehme nur die Videokamera, ziehe die Windjacke über und mache mich auf den Weg nach oben.
Kurz vor dem letzten Kamm frage ich einige Leute, die gerade herunter kommen, wie weit es denn noch ist. „Etwa zehn Minuten“, sagen sie.Um 15.00 Uhr bin ich dann oben. Die Auskünfte passten also, fünfundzwanzig Minuten habe ich gebraucht. Schneller war nicht drin.
Auf dem Mussala
Oben fotografiere ich ein junges Paar vor der Tür der Berghütte und lasse mich anschließend von dem Mann mit meiner Kamera filmen. Es ist der Beweis, dass ich tatsächlich oben war. Höher werde ich wohl in diesem Leben nicht mehr hinauf kommen, zumindest nicht zu Fuß. Der Mussala ist eben mein Mt. Everest.
So schnell wie es geht laufe ich nach unten. Nach 15 Minuten bin ich an der Hütte. Uns fehlt mindestens eine halbe Stunde. Die Gondelbahn ist nicht mehr zu schaffen. Wir finden uns damit ab, dass wir zu Fuß bis nach Borovez hinunter gehen müssen. Das sollte eigentlich kein Problem sein, denn ich habe den Weg von 1965 noch etwas in Erinnerung und jetzt sollte es wesentlich leichter sein, als bei Schnee. Aber die Länge des Weges ist immer noch die Gleiche. Wir werden sicher zwei bis drei Stunden brauchen.
Auf dem Weg überholt uns ein Jeep mit einem der Arbeiter, die hier oben zu tun haben. Das wäre doch toll, wenn der nach Borovez runter fahren und uns mitnehmen würde.
Als er fast ran ist winke ich und er dreht die Scheibe runter. Ich frage ihn, ob er nach Borovez fährt. Er deutet aber mit der Hand nur an, dass es nach Borovez ganz steil runter geht und fährt weiter. Nach zehn Metern hält er an. Vielleicht hat er es sich anders überlegt. Er macht die rechte Tür auf und deutet Angelika an, dass sie sich neben ihn setzen soll. Ich soll hinten einsteigen. Dort rückt er mir einen losen Holzhocker mit Kunststoffpolster zurecht, auf dem ich auf dem ich Platz nehmen soll. Verständigen können wir uns nicht, er spricht nur Bulgarisch und anschnallen kann man sich in dem Gefährt auch nicht. Es ist das klapprigste Auto in dem wir jemals gesessen haben. Durch das Bodenblech kann man stellenweise nach unten hindurch sehen und der erste oder zweite Gang springt öfter raus. Aber wir sitzen und das Auto bewegt sich in die von uns gewünschte Richtung.
Neben der alten Jastrebez-Hütte fährt er einen Weg hinunter. Es geht im wahrsten Sinne des Wortes über Stock und Stein. Ich halte mich krampfhaft an den Bügeln der Vordersitze fest und stemme die Knie dagegen, damit ich nicht samt Hocker nach vorn zwischen die Sitze rutsche. Im Auto liegt hinten noch verschiedenes loses Zeug, u.a. auch ein Kunststoff-Benzinkanister. Den versuche ich mit einem Fuß abzustützen, damit er nicht nach vorn rutscht. Als der Weg eine Biegung macht, fährt der Mann einfach weiter geradeaus über eine Schotterfläche, die zu einer Skipistenanlage gehört. Dann fährt er durch vollkommen aufgewühltes Gelände. Hier waren sicher Raupenfahrzeuge beim Pistenbau am Werk. Danach fährt er direkt den Hang einer Skipiste hinunter. Er fährt ohne Hemmungen auf die Kante zu, ohne dass wir sehen können, wie es dahinter weiter geht. Wir können ihm nur blind vertrauen, denn er kennt sich offenbar aus hier und will sicher auch lebend unten ankommen.
Zweimal gelingt es mir, die Videokamera für einige Sekunden in Betrieb zu nehmen, und kann wenigstens ein kurzes Stück der halsbrecherischen Fahrt festhalten. Als es schräg durch eine Querrinne geht, kann ich den Kanister nicht mehr aufhalten. Er rutscht durch meine Beine, die ich an die Rückenlehnen der Sitze stemme, nach vorn und bleibt an den Schalthebeln hängen. Den Fahrer scheint das nicht zu stören.
Ein Stück geht es noch über eine Wiese mit ein paar Löchern und dann sehen wir die Straße. Bald danach haben wir die Tortur überstanden.
Zum Essen gehen wir am Abend wieder in das Venezia. Auf dem Grill vor der Gaststätte werden Gemüsespieße zubereitet und auf dem Spieß dreht sich, wie jeden Abend, ein Lamm.
Heute bestellen wir wieder eine große Flasche Wasser, denn wir haben ziemlich geschwitzt bei der Wanderung und müssen unbedingt nachtanken. Als Vorspeise nehmen wir russischen Salat und ein türkisches Brot dazu. Hauptspeise wird ein Spieß mit Hühnerfleisch und Gemüse vom Grill. Zum Abschluss trinken danach noch jeder einen Cinzano bianco.
Die Rechnung für dieses reichliche Menü beträgt 33 Lewa.
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