Geht doch ..., ----------> “Yes, we Gauck”,
jubelte Bild schon am 6. Juni 2010. Nun nach fast zwei Jahren sind wir es - fast jedenfalls, trotz des kläglichen Wulff-Intermezzos.
Die Idee, Joachim Gauck für das Amt des Bundespräsidenten vorzuschlagen, soll dabei ursächlich nicht mal eine rot-grüne Idee gewesen sein, sondern die des Chefredakteurs der „Welt", berichtete die Financial Times Deutschland am 20. Juni 2010.
Haben sich deshalb Bild und Welt, die beide dem Hause Springer angehören, so stark an der Demontage Wulffs beteiligt? Ein Schelm, der Böses dabei denkt.
Nun wurde Wulff zurückgetreten. Viele kleine Schatten der Vergangenheit haben ihn eingeholt. Ein politisches Schmierentheater der letzten zwei Jahre hat ein vorläufiges Ende gefunden. Angela Merkel hatte 2010 die Stimme des Volkes nicht gehört. Oder hat sie sich an die Verballhornung der lateinischen Sentenz „vox populi vox dei“ (Volkes Stimme Gottes Stimme) erinnert, die da lautet: „Vox populi, vox Rindvieh“? So etwas rächt sich.
Das Zünglein an der Waage war nun, wie schon bei anderen Situationen in der Vergangenheit, die FDP in Gestalt von Dr. Philipp Rösler, dem Augenarzt, dem das Volk bisher wenig vertraut hat. Er hat’s gerichtet und das war endlich mal gut so. Die FDP ist also doch noch zu was nutze.
Nachtreten bei Wulff muss nun nicht unbedingt sein, aber ein lebenslanger „Ehrensold" für eine verkürzte schwache Kür auch nicht. Das wäre zu viel des Guten. Frau Nahles ist da offenbar anderer Meinung. Im ZDF-Morgenmagazin sagte sie heute: "Den Ehrensold soll er von mir aus bekommen“. Ein sehr lascher Umgang mit Steuergeldern, der sich auch nicht dadurch kaschieren lässt, dass sie sich nur an der Bezeichnung "Ehrensold" stößt. Ja, was denn nun? Soll man jetzt eine andere Bezeichnung einführen, weil wir derzeit einen an sich selbst gescheiterten Bundespräsidenten a.D. haben, der sich nicht mit Ruhm und Ehre bekleckert hat? Das kann ja wohl nicht sein. „Ehre, wem Ehre gebührt", nicht anders. Diesem antiquierten Spruch gilt es zu huldigen! Schließlich sind die Gründe für sein Scheitern keine politischen. Und die Verletzungen, die er und seine Frau durch die Berichterstattungen erlitten haben, ziehen gewiss keine chronischen Krankheiten nach sich. Wir müssten sonst wohl in diesem unserem Lande Heerscharen von Politinvaliden betreuen. Hat er nicht selbst schon lange vor seinem Rücktritt gesagt, dass in einem Jahr sicher alles vergessen ist?
Wulff sieht doch trotzdem noch Licht am Ende des Tunnels. Er muss nur fünf Jahre überbrücken, bis seine Altersversorgung aus der Zeit als Landtagsabgeordneter greift. Mit 60 bekommt er dann noch die aus der Zeit als Ministerpräsident. Das sollte doch wohl für einen Rechtsanwalt im arbeitsfähigen Alter reichen. Bestimmt hat er noch ein paar andere Einkünfte. Oder er konnte sich von dem nicht gerade unter dem Durchschnitt liegenden Einkommen etwas sparen. Waren da nicht gute, sogar väterliche Freunde? Die soziale Hängematte, in der sich, lt. unserem bald neuen Bundespräsidenten, niemand ausruhen sollte, müssen wir für Herrn Wulff bestimmt nicht ausbreiten.
Doch genug zu Wulff. Ab jetzt geht es aufwärts. Auch wenn Angela Merkel erst mal wieder tief durchatmen muss nach dem alles entscheidenden Anruf. Ihr bedepperter Gesichtsausdruck bei der gestrigen Pressekonferenz sprach Bände. Sie kann sich eben nicht verstellen. Aber sie wird auch das überstehen. Das ist sie uns schuldig. Wir brauchen sie noch. siehe auch bei Spiegel online...
Jetzt wird es nun doch noch Joachim Gauck. Endlich mal kein gelernter Parteisoldat. Wird aus Gauck ein weiser Patriarch mit Charisma, der hoffentlich nicht nur durch ein paar markante Reden in Erinnerung bleibt? Die Mehrheit des Volkes will ihn. Gauck genießt Achtung im Volk. Scheinbare Beamtenkorrektheit genügt nicht mehr. Wie weit es damit bei einem Parteipolitiker her war, haben wir erlebt. In dieser Hinsicht dürfte Gauck keine Leichen im Keller haben. Hatten die, die vorher auch im Gespräch waren und abgelehnt haben, schon etwa die bösen Vorahnungen, dass manche Journaille schon in den Startlöchern sitzt?
Ob es denn auch bei Gauck Zeitgenossen gibt, die keine Lobeshymnen singen, sondern die Messer wetzen? Sicher. Schon formieren sich die Gegner und blasen zum Angriff. Ein Party-Foto mit Maschmeyer und Ferres taucht auf. Na und? Sollte er etwa wegrennen, wenn die ihn einkesseln?
Seine bisherigen Äußerungen zum Sozialstaat, zum Krieg in Afghanistan, zur Vorratsdatenspeicherung, zur Kapitalismuskritik usw., gefallen auch nicht allen. Ein Umbequemer also. Hoffentlich hat er nicht so oft bar bezahlt und alle Belege und Quittungen aufgehoben.
Moralapostel treten auch schon auf die Bühne, denn Gauck ist nicht verheiratet, zumindest nicht mit seiner Parnerin. Er lebt in wilder Ehe. So so. In „unordentlichen" Verhältnissen also. Schon seit zwölf Jahren. Obwohl er seit 1991 noch nicht mal geschieden ist. Was ist das denn? Ein von seiner angetrauten Frau getrennt lebender Pfarrer will mit seiner neuen Partnerin in unser aller oberstes Schloss einziehen und unser oberster Erzieher werden? Undenkbar. Er muss heiraten. Ohne Gottes Segen, auch wenn's denn ein protestantischer ist, läuft hier nichts, sonst kommt Gottes Zorn über uns alle, falls wir sowas zulassen. - Woher kommt nun der mahnende Finger? Von einem Familienpolitiker der CSU! - War da nicht was mit Seehofer? Aber der ist ja auch nur CSU-Vorsitzender und bayrischer Ministerpräsident. Und was bei Ministerpräsidenten alles geht, das wissen wir ja nun. Für einen Bundespräsidenten allerdings gelten andere Maßstäbe.
Man wird auch Stimmen entdecken, die Gauck einen ausgeprägten Antikommunismus vorwerfen, ihm gleichzeitig aber auch eine gewisse Nähe zu den Mächtigen der DDR unterstellen wollen. Gestreut werden solche Gerüchte meist von jenen, denen Gaucks Aufarbeitung der Vergangenheit zu weit ging. Deshalb will auch die Linkspartei Gauck nicht. Sie ist sauer auf ihn. Gauck hat der Linken schon vorher zu sehr auf die Füße getreten.
Nun soll er sich aber auch die anderen Parteien vornehmen. Möglichst ohne pastorales Pathos. Nüchtern, sachlich, aber bestimmt. Die Gratwanderung der Nichteinmischung in die Politik muss er lernen zu beherrschen. Von seinem Vorgänger kam dazu nichts Spürbares. Aber Sie packen das Herr Gauck. Seien Sie unbequem. Schlagen Sie den Parteipolitikern die Köpfe aneinander. Die sollen dem Volk, das sie immer wieder wählt, dienen und sich nicht mit sich selbst beschäftigen. Weniger plappern, dafür mehr sagen. Weniger hohle Talkshows, dafür welche mit mehr Inhalt und ohne dümmliches Gezänk.
Es war ja auch nicht alles schlecht, was wir mit Christian Wulff erlebt haben. Kinderstimmen im Schloss Bellvue. Herr Gauck hat ja Enkel. Engagierte „normale Bürger“ gehören auch in Zukunft auf einen Neujahrsempfang.
Ich bin froh, dass wir Gauck bekommen, aber ich schäume nicht über. Man muss bei Politikern und solchen, die es werden wollen (sollen), immer realistisch und auch skeptisch bleiben. Wer von den Medien als Heilsbringer hochgejubelt wird, kann auch schnell mal in den Fahrstuhl nach unten geschoben werden. Auch ein Dr. h.c. Joachim Gauck kann einen rettungslos verschuldeten, sich langsam selbst abschaffenden Patienten nicht retten, sondern sein Ableben nur hinauszögern. Thilo Sarrazin lässt grüßen.
Sollte dennoch mal etwas schief gehen, dann Augen auf und durch. Als Pastor weiß Herr Gauck, wer Buße tut, dem wird auch eher verziehen. Mitleidiger Hundeblick reicht nicht.
Es gibt Stimmen, die befürchten eine Aufwertung der Kirche. Das sollte er vermeiden. Zuviel Gottesbezug verklärt den gesunden Menschenverstand. Vielleicht gelingt ihm aber auch etwas, womit wir alle noch nicht rechnen. Schaun wir mal.
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